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Jacobs University unterstützt Entwicklung von Suchmaschinen für Argumente

 
9 Mai, 2016
 
Diskussionen im Internet sind kaum zu erfassen, sei es die Kontroverse um das Handelsabkommen TTIP oder die Debatte um Flüchtlinge:  Sie laufen manchmal über Jahre, die Zahl der Diskussionsbeiträge geht in die Millionen. Ein neues Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) soll für Klarheit sorgen. Die Jacobs University ist maßgeblich daran beteiligt.
 
Dr. Michael Kohlhase, Professor für Informatik an der Jacobs University, vertritt im Programm den Bereich Wissensrepräsentation und Logik. „Wenn wir Argumente mithilfe von Suchmaschinen sinnvoll auswerten wollen, dann müssen Suchmaschinen deutlich mehr können als bislang“, sagt er. „Sie müssen Informationen nicht nur miteinander verknüpfen können, sondern zum Beispiel auch bewerten können, ob die genannten Behauptungen mit anderen Zahlen und Fakten übereinstimmen. Nur wenn die Fülle an Beiträgen im Netz maschinell gesichtet und bewertet werden kann, lassen sich hier kostengünstige Mehrwertdienste anbieten, die Nutzern im täglichen Leben helfen“, so Kohlhase. Geschickt programmierte Erweiterungen von Suchmaschinen könnten hier schnell Argumente sammeln und Stimmungsbilder erfassen. „Das ist ein sehr spannendes Projekt, bei dem wir viel Wissen aus unterschiedlichen Teildisziplinen der Informatik zusammentragen müssen“, sagt er. „Ich freue mich sehr auf den Austausch mit den Kollegen.“
 
Bundesweit arbeiten Wissenschaftler ab 2017 an „Suchmaschinen für Argumente“. Die technischen Systeme sollen zum Beispiel analysieren, wie Gruppen – etwa Pegida oder Globalisierungsgegner – in Onlinediskussionen argumentieren. Das Programm mit dem Namen „Ratio“ wird von der Universität Bielefeld geleitet. Beteiligt sind die Jacobs University Bremen, die Universität Duisburg-Essen, die Universität Leipzig und die Bauhaus-Universität Weimar.
 
Der volle Titel des DFG-Schwerpunktprogramms heißt „Robust Argumentation Machines“ (Adaptive, Skalierbare und Fehlertolerante Argumentationsmaschinen). Die Koordinatoren des Programms arbeiten derzeit unter der Federführung von Professor Dr. Philipp Cimiano vom Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld an einer Ausschreibung, in der sich Wissenschaftler aus ganz Deutschland mit ihren Projektideen bewerben können. Aus diesen Projektideen werden dann bis zu 15 Anträge bewilligt.
 
Politikforscher könnten mit der neuen Generation von Systemen beispielsweise analysieren, wie Menschen im Internet über ein Thema denken und reden. In der Diskussion um Flüchtlinge sei von vielen Menschen die sogenannte „Schließung der Balkanroute“ als das Mittel der Wahl benannt worden. Die neuen Argumentationsmaschinen würden nicht nur aufspüren, wie viel Zuspruch diese „Lösung“ erhalten hat, sondern auch, welche Gegenargumente aufgeführt werden. „Grundsätzlich könnten sie auch darstellen, welche Argumente überholt sind und welche neu in die Diskussion eingeführt wurden“, sagt Philipp Cimiano.
 
Die Industrie arbeitet seit Jahren an Systemen, die Datenmengen („Big Data“) automatisch durchforsten und auswerten. „Das Problem dabei ist, dass unklar bleibt, worauf diese Systeme ihre Informationen beziehen und wie sie ihre Vorschläge begründen“, sagt Philipp Cimiano. Hier setzt das Forschungsprogramm an. Die neuen Suchmaschinen sollen unstrukturierte Dokumente analysieren, argumentative Zusammenhänge herausziehen und verständlich vermitteln. Und sie sollen nicht nur Handlungsempfehlungen geben, sondern diese Vorschläge begründen und auf Quellen und weiterführende Informationen hinweisen. „Uns geht es darum, Transparenz in die Big-Data-Analyse zu bringen“, sagt der CITEC-Wissenschaftler. „Wir arbeiten an intelligenten Beratungssystemen, die den Nutzern ihre selbstständige Entscheidung lassen.“
 
Die Analyse von Online-Diskussionen ist nur ein mögliches Einsatzgebiet der Argumentationsmaschinen. Die neuen Systeme sollen Experten verschiedener Branchen bei der Entscheidungsfindung unterstützen, zum Beispiel in der Finanzbranche, der Medizin, der Technischen Dokumentation, Politik und Soziologie.
 
So könnte zum Beispiel ein System entwickelt werden, das von Ärzten zu Rate gezogen werden kann. Das System scannt Millionen von Fachartikeln zu Krankheitsbildern und Therapien. Der Arzt kann den digitalen Beratungshelfer befragen – dank eines Dialogassistenten – und erfährt auf diese Weise beispielsweise von einer neuen Therapie, die er selbst nicht aufgespürt hätte. Auch in der industriellen Fertigung könnte solch ein System assistieren: Wenn etwa eine Maschine nicht funktioniert, könnte das Beratungssystem Anleitungen, Dokumentationen oder auch Internetforen durchsuchen und Vorschläge zur Fehlerbehebung ableiten. Auch Journalisten könnten profitieren, indem die Systeme frei verfügbare Daten der öffentlichen Verwaltung oder zugespielte Daten wie die „Panama Papers“ auswerten.
 
Das Schwerpunktprogramm bringt Informatiker mit den Themenschwerpunkten Künstliche Intelligenz, Computerlinguistik, Wissensrepräsentation, Suchmaschinen, Semantisches Web und Mensch-Maschine-Interaktion zusammen. „Ratio“ läuft von 2017 bis 2023. Für die Forschung im Schwerpunktprogramm stehen pro Jahr zwei Millionen Euro zur Verfügung, also insgesamt zwölf Millionen Euro. Zum Programmausschuss gehören: Professor Dr. Philipp Cimiano (Universität Bielefeld), Professor Dr. Gerhard Heyer (Universität Leipzig), Professor Dr. Michael Kohlhase (Jacobs University Bremen) Professor Dr. Benno Stein (Bauhaus-Universität Weimar), und Professor Dr. Jürgen Ziegler (Universität Duisburg-Essen).
 
In den Schwerpunktprogrammen der Deutschen Forschungsgemeinschaft sollen wissenschaftliche Grundlagen besonders aktueller oder sich gerade bildender Forschungsgebiete untersucht werden. „Ratio“ ist eins von 17 neuen Schwerpunktprogrammen, die 2017 starten und aus 76 zuvor bei der DFG eingereichten Initiativen ausgewählt wurden.
 
Weitere Informationen im Internet: 
„DFG richtet 17 neue Schwerpunktprogramme ein“ (Pressemitteilung vom 21.03.2016): http://www.dfg.de/service/presse/pressemitteilungen/2016/pressemitteilung_nr_10/
 
Fragen beantworten:
Prof. Dr. Michael Kohlhase, Professor für Informatik an der Jacobs University
Telefon: +49 421 200-3140 | m.kohlhase [at] jacobs-university.de
 
Prof. Dr. Philipp Cimiano, Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie Universität Bielefeld
Telefon: +49 521 106-12249
E-Mail: cimiano [at] techfak.uni-bielefeld.de